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    TikTok: Plattform queerer Selbstfindung und Ort für Austausch?

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    Mike
    Zuletzt aktualisiert: 09.10.2025
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    7 Min

    Bist du auch manchmal auf TikTok oder anderen Plattformen unterwegs und holst dir dort Ideen und Anregungen für coole Klamotten, Tanzschritte oder gute Musik? Vielleicht entdeckst du dabei, dass vieles von dem, was dort gepostet wird, mit dir als Person zu tun hat? Gerade für queere Leute scheinen Plattformen wie TikTok so etwas wie Selbstfindungs-Locations zu sein. Wenn du weiterliest, erfährst du mehr zu diesem spannenden Thema.

    Warum TikTok für queere Menschen so relevant ist

    TikTok ist ja vor allem für Tanzvideos oder virale Challenges bekannt. Tatsächlich ist es aber wesentlich mehr, nämlich ein digitaler Raum für viele queere Menschen, in dem sie sich selbst als Persönlichkeit entdecken, sich miteinander vernetzen und ihr Selbstwertgefühl stärken. Gerade weil TikTok so visuell, kreativ und zugänglich ist, nutzen viele Menschen die Plattform zum Selbstausdruck, zur Bildung und für Community-Building.

    TikTok als Medium zur Selbstfindung

    Es gibt zahlreiche queere Menschen, die sich offline wenig oder gar nicht repräsentiert fühlen. TikTok bietet ihnen die Möglichkeit, sich sichtbar zu machen, eigene Identitäten zu zeigen oder neue Rollenmodelle für sich zu entdecken, beispielsweise durch queere Creators, die dort ihren Alltag, ihre Transition oder ihr Coming-Out dokumentieren. Untersuchungen zeigen, wie starke Vorbilder Mut machen. Viele junge Nutzer:innen berichten, dass TikTok ihnen geholfen habe, selbst den Mut zum Coming-Out zu finden.

    Die TikTok LGBTQIA+ Community inspiriert und unterstützt sehr viele Menschen. Das zeigt sich auch in den Aufrufzahlen der beliebtesten Hashtags. Alleine die Hashtaks #LGBT und #Pride haben im vergangenen Jahr weltweit 66 Milliarden bzw. 10 Milliarden Aufrufe erzielt. Der Hashtag #RegenbogenFamilie hat es immerhin auf über 180 Millionen Aufrufe gebracht.

    TikTok als digitaler “Dr. Sommer”

    Wenn du dich auf TikTok umschaust, findest du Beiträge zu fast allen queeren Themen, von Trans*, nicht-binären oder asexuellen Perspektiven bis hin zu verschiedenen kulturellen Hintergründen und Körperformen. Das gibt dir die Möglichkeit, dich in vielen Versionen queerer Lebensweisen wiederzufinden. Plattformen wie TikTok verbinden Unterhaltung mit Aufklärung. Neben Unterhaltung spielt auch Bildung eine wichtige Rolle.

    Viele Creator teilen Inhalte zu queeren Themen, die in Schulen oft nicht behandelt werden. Du kannst lernen, was „binding“, „tucking“ oder verschiedene Genderbegriffe bedeuten, oder dich über Erfahrungen mit Mobbing, Hormonen oder Beckentechniken informieren. Dazu schaust du dir einfach 60-Sekunden-Videos mit oft unglaublicher emotionaler Tiefe an.

    Für viele junge Leute ist TikTok inzwischen die erste Anlaufstelle, wenn es um LGBTQIA+-Themen geht. Vor allem junge Menschen, deren Umfeld konservativ ist, finden dort wertvolle Informationen.

    Austausch & Community: Gemeinsam statt allein

    Plattformen wie TikTok arbeiten mit Hashtags und Für-Dich-Seiten für queere Nutzer. Diese nutzen dann gezielt Hashtags wie #LGBT, #QueerTok, #RegenbogenFamilie oder kreative Varianten wie „g@y“, „homoseggsuell“, um algorithmisch sichtbarer zu werden, ohne von TikToks Zensuralgorithmus blockiert zu werden. Der Algorithmus sucht dir dann Inhalte, die dich stärken und weiterbringen, wenn du entsprechend interagierst.

    Safe Spaces und Kommentar-Interaktion sorgen für einen angemessenen Umgang der Nutzer. Viele queer‑orientierte Accounts setzen in ihren Kommentarbereichen auf einen safe-space-Ansatz. Fragen werden sachlich beantwortet, Hasskommentare konsequent gelöscht und Diskursräume bewusst betreut. So entsteht Raum für Austausch, Fragen und Anerkennung.

    Es gibt auch gruppenspezifische Angebote, Netzwerke und kollaborative Projekte. Dazu zählt etwa das Projekt „DIVE IN – Die queere WG auf TikTok“. Bei “DIVE IN” teilen Creatoren ihre Alltagserlebnisse und Erfahrungen, bauen interaktive Angebote, zum Beispiel Workshops, und erreichen darüber ein breiteres Publikum. Solche Projekte zeigen, wie die queere Community auf der Plattform sichtbar wird.

    Sichtbarkeit sorgt für Wirkung

    Immer wieder kombinieren Creatoren humorvolle, ästhetische Inhalte mit Aufklärungsthemen, etwa zu Adoptionsrecht, Schwangerschaft bei Regenbogenfamilien oder Gendernormen. So entstehen Inhalte, die Spaß machen und dir gleichzeitig nützliche Sachverhalte vermitteln, die dein Wissen und deine Fähigkeiten erweitern.

    Ein großer Vorteil von TikTok und ähnlichen Plattformen besteht also auch darin, dass sie dir Begegnungen mit vielfältigen queeren Realitäten ermöglichen. Du lernst nicht nur eine Richtung von Queerness kennen, sondern hast Einblick in das riesige Feld der Identitäten: von People of Color über trans* und genderqueer bis zu queeren Eltern. Dadurch wächst (im Idealfall) die Anerkennung für die Vielfalt und du bekommst eine Menge Inspiration für die eigene Lebensrealität.

    Ein großes Problem ist die Einsamkeit, unter der queere Jugendliche oft leiden, vor allem, wenn sie fernab von den großen Metropolen leben. Sie brauchen Unterstützung in schweren Zeiten, und genau hier können TikTok und Co. hilfreich sein. Viele queere Jugendliche und junge Erwachsene berichten in Foren über Einsamkeit nach dem Coming-out. Online-Communities wie TikTok-Chats, Lambda-Projektgruppen, Peer-Support oder Regenbogenchats geben Hoffnung und bieten die Möglichkeit zum Austausch.

    Risiken und Grenzen von TikTok und Co

    Nicht unterschätzen sollte man die möglichen psychischen Auswirkungen der Nutzung. TikTok kann erwiesenermaßen süchtig machen, gerade junge Nutzer. Der ständige Druck, sich selbst inszenieren zu müssen und das dauernde Vergleichen mit anderen kann zu enormem Stress führen. Auch Minderwertigkeitsgefühle können so entstehen. Am besten bewahrst du dir eine kritische Medienkompetenz, damit du entspannt bleiben kannst.

    Es zwei weitere wichtige Probleme auf TikTok, die an dieser Stelle klar benannt werden müssen. Die Rede ist einmal von Cybermobbing & Hate Speech. Viele queere Creatoren erhalten Hasskommentare und werden für ihre Inhalte online angegriffen. Hier heißt es aufmerksam sein und vor allem konsequent zu reagieren, im “worst case” mit einer Anzeige.

    Leider gibt es bei TikTok wohl auch eine sogennnte Algorithmische Zensur. Das bedeutet, dass queere Inhalte manchmal durch TikToks Moderation ausgeblendet werden. Es wird immer wieder Berichte über gedämpfte oder ganz gelöschte relevante Clips ohne Verstoß gegen Richtlinien, was ziemlich frustrierend ist, weil dadurch wichtiges Wissen verloren geht.

    Das sind Herausforderungen, denen du dich als Nutzer stellen, oder die du zumindest kennen solltest. Trotzdem hat sich TikTok zu einem wichtigen Ort für queere Menschen entwickelt. Hoffnung macht das Wissen, dass sich die Plattform ständig weiterentwickelt und sich deshalb hoffentlich noch inklusiver präsentieren wird.

    Praktische Tipps in Sachen TikTok-Nutzung

    Interagiere mit der richtigen Hashtag-Strategie. Verwende ganz bewusst queere Hashtags und nutze auch kreative Varianten, wenn sensible Begriffe von der Plattform gedämpft werden. Zum Beispiel: #queerTok, #gaypride oder #lgbtqia, mit alternativen Schreibweisen bei Sperren.

    Interagiere ganz gezielt. Markiere Inhalte einfach mit Like, Kommentar oder Speichern, wenn sie dich emotional berühren oder du etwas gelernt hast. Auf diese Weise lernt der Algorithmus, dir mehr relevante Inhalte zu zeigen.

    Wähle deine Follower ganz bewusst aus. Außerdem solltest du selbst nur Creatoren folgen, die dich verstehen oder dich in irgendeiner Weise inspirieren – wie z. B. @maybegayby, @mx.gialu, @die_michalskis) oder @diehuepsche.

    Suche den Austausch mit Szene-Insitutionen. Wenn du intensiveren Peer-Support suchst, bietet beispielsweise Lambda e. V. auf TikTok-Onlinegruppen und Beratungsangebote an. Auch eigentlich lokal aktive, queere Zentren wie der Sonntags-Club in Berlin oder die Akademie Waldschlösschen findest du auf TikTok, wo sie sich aktiv am queeren Plattformgeschehen beteiligen.

    Sei selbst kreativ. Erstelle doch einfach selbst Videos für die Plattform. Erzähle deine Coming-out‑Story, poste Tutorials und Reaktionen oder teile tolle, blöde oder einfach ganz normale Alltagserlebnisse aus deiner queer-identitären Perspektive. Das ist nicht nur gut für dich, sondern kann auch wieder andere Leute ermutigen. Vielleicht geht dein Video ja sogar viral, wenn du absolut authentisch bist.

    Fazit: Du bist nicht allein

    TikTok ist heute für viele queere Leute ein Raum zur Selbstfindung, zum Austausch und zur Sichtbarkeit. Die Plattform ist aber auch ein Ort, der dein kritisches Bewusstsein erfordert. Wenn du dich einbringst, siehst du, dass du nicht allein bist. Vor allem die Generation Z nutzt TikTok, um queere Lebenswelten zu zeigen und sich gegenseitig zu bestärken. Auf TikTok kannst du lachen, aber auch lernen und reflektieren. Du kannst aber auch selbst etwas verändern, wenn du mitmachst.

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