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In Städten wie Berlin gibt es zahlreiche Clubs, Anlaufstellen, Paraden und vieles mehr für queere Menschen. An kaum einem anderen Ort kann die Queer-Community ihr Leben so unbescholten leben wie in Berlin, auch wenn es bis zur flächendeckenden Toleranz noch ein weiter Weg ist. Aber wie geht es eigentlich Menschen, die auf dem Land leben? Schon seit jeher gilt das Landleben als sozial beschwerlich. Jeder kennt jeden, es wird geredet, getratscht und auch schon mal ausgegrenzt. Ist das ein reales Thema und wie erleben Queer-People das Landleben? Gibt es echte Dorfpride?
Ein Land, zwei Realitäten – queeres Leben auf dem Land
Verglichen mit anderen Ländern ist queeres Leben in Deutschland mittlerweile zumindest teilweise ganz gut möglich. Es macht aber einen erheblichen Unterschied, ob du auf dem Land oder in der Großstadt lebst. Während du in der Großstadt anonymer und freier bist, triffst du auf dem Land oft noch auf konservative Wertevorstellungen und eine eingeschworene Gemeinde.
Du fällst auf wie der sprichwörtliche „bunte Hund“, wenn du mit deinem Partner zum Schützenfest auftauchst, womöglich noch stolz in queere Kleidung oder Regenbogenflagge gehüllt.
Es ist bis heute leider Standard, dass sich Queer-People auf dem Land nicht offen zeigen und zurückziehen. Teilweise leben sie sogar ein Doppelleben, denn die Ausgrenzung anderer Dorfbewohner würden sie nicht ertragen.
Dorfpride: Identitätsprobleme queerer Menschen auf dem Land keine Seltenheit
Für die Hessenschau berichtete der homosexuelle David Muniz-Hernandez von seinen Erfahrungen, die er machen musste. Er sei bereits mit Bier bespritzt oder als „Schwuchtel“ diskriminiert worden. In Deutschland lebte er noch nicht immer, aufgewachsen war er in einer konservativen Kleinstadt in Mexiko. Als seine Eltern von seiner sexuellen Orientierung erfuhren, waren sie den Jungen raus.
Eine Zeitlang war er obdachlos, wanderte später nach Kanada aus. Nach Deutschland kam er durch die Heirat seines Partners in Bayern.
Muniz-Hernandez berichtet, dass Mexiko ein größeres Problem mit Queer-Feindlichkeit hat als Deutschland. Er sagt aber auch, dass Schamgefühle weiterhin verbreitet seien. Das weiß er nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern auch durch das Projekt Akzeptanz und Vielfalt Fulda, an dem er mitwirkte.
Gefördert wurde das Projekt durch das hessische Sozialministerium. Professorin Carola Bauschke-Urban möchte Aufmerksamkeit erzielen und Verbindungen erstellen. Sie berichtete über ihre eigenen Forschungen, die große Probleme bei der Anerkennung queeren Lebens auf dem Land offenbarte.
Die Diskriminierung treffe Menschen aller Gesellschaftsklassen und Altersstufen und führe dazu, dass queeres Leben verheimlicht würde. Die Forschenden rund um die Professorin fanden heraus, dass Queersein auf dem Land nach wie vor als Abweichung einer akzeptierten Lebensführung wahrgenommen würde. Für die Professorin ein Schock der wirke, als würde die Zeit stehenbleiben.
Anlaufstellen, Treffpunkte oder gar Akzeptanz sind für queere Menschen auf dem Land Fremdworte. Selbst in Landeshauptstädten wie Wiesbaden gibt es nur ein geringes Angebot für queeres Leben. Ein Vergleich zu Berlin oder auch Köln ist nicht zu ziehen.
Mit der Dorfpride für mehr Sichtbarkeit queerer Menschen auf dem Land
In Berlin und zahlreichen anderen Städten Deutschland ist der Christopher-Street-Day ein jährliches Ereignis von und für queere Menschen. Die Dorfpride ist eine Abwandlung dieser Parade, die einmal pro Jahr im Rhein-Neckar-Kreis durchgeführt wird. Es geht, wie beim CSD auch, darum queere, homosexuelle, transsexuelle und intergeschlechtliche Menschen sichtbarer zu machen. Die erste Veranstaltung fand 2020 statt, seither wird sie jedes Jahr an einem anderen Ort ausgetragen.
Übersicht bisherige Dorfpride-Veranstaltungen:
- 2020 in Mühlhausen, einer kleinen Gemeinde mit 8.700 Einwohner.
- 2021 in Oftersheim mit 12.300 Einwohnern.
- 2022 in Ladenburg mit etwa 12.600 Einwohnern.
- 2024 in Wiesloch mit etwa 27.500 Einwohnern.
- 2024 in Ketsch mit etwa 13.190 Einwohnern
- 2025 in Zeutern mit rund 3.059 Einwohnern.
Zwischen 500 und 1.500 Menschen nahmen im Schnitt bei den Paraden teil, deutlich weniger als in Großstädten. Gemessen an den Einwohnerzahlen zeigte sich aber eine zunehmende Bereitschaft, queeres Leben anzuerkennen und zu zelebrieren.
Allgäu geht mit „Allgäu-Pride“ voran
Im Allgäu wurde mit „Allgäu-Pride“ eine wichtige Initiative gegründet, die queeres Leben auf dem Land sichtbarer und akzeptierter machen möchte. Inmitten von Käse, Kühlen und Bergen möchte man sich für Themen wie Gleichberechtigung und Toleranz einsetzen.
Jeder soll sehen, dass es im Allgäu um mehr geht als nur Leben nach veralteten Traditionen und Gewohnheiten.
Gegründet wurde der Verein Allgäu Pride e.V. von einer Gruppe Straight Allies und queerer Menschen, um ein Zeichen für die LGBTQIA+-Community zu setzen. Das Ziel des Vereins ist es, Themen rund ums queere Leben Sichtbarkeit zu geben und in den Dialog mit Menschen zu gehen. Auf diese Weise möchten die Initiatoren Unsicherheiten und Vorurteile verringern.
Die Straßen erobern die jungen und älteren Menschen im Rahmen der selbst inszenierten Allgäu Pride Week. Auf Straßen und Plätzen wird das bunte und stolze Queer-Leben gefeiert. Erstmals fand die bunte Woche im Jahr 2021 in Sonthofen statt.
2025 feiert man zum ersten Mal keine Pride Week, sondern einen Pride Month. Vom 2. August bis zum 6. September 2025 wird es im Allgäu bunt, laut und deutlich. Ein großer Demozug soll den Monat der Sichtbarkeit krönen.
Nachahmer in Sicht für mehr Dorfpride
Das Beispiel macht Schule, im Juni 2025 wurde der CSD Verden e.V. gegründet und setzt fortan ein klares Zeichen für mehr queere Akzeptanz auf dem Land.
Im September 2024 fand eine Art Christopher Street Day in der Gemeinde Verden statt und lockte 500 Teilnehmer an. Neun Monate danach gründeten die Initiatoren den ersten queeren Verein der Region.
Die Ziele des Vereins sind vielfältig:
- Bildungsangebote für Arbeitgeber, Unternehmen, Schulen und Universitäten
- Zusammenschluss mit anderen Queer-Initiativen vom Land und aus der Stadt
- Safespaces für die queere Community
- Politischer Aufmerksamkeit für Themen rund um LGBTQIA+
Unterstützt werden die Verdener Pioniere durch den Verein Queer Cities e.V. aus Bremen. Dadurch wird eine bundesweite Kooperation mit anderen queeren Gruppen und Vereinen möglich.
Auf lange Sicht möchte man im Verein nicht nur jährlich einen CSD ausrichten, sondern auch Strukturen für den queeren Alltag etablieren. Veranstaltungen in vorhandenen Räumlichkeiten, ein queerer Treffpunkt und auch Beratungsstellen und Hilfe beim Coming-Out sind angedacht.
Der Verein nimmt noch neue Mitglieder aus der Region auf und freut sich über ehrenamtliche Helfer und Menschen, die sich für die Vielfalt einsetzen möchten.
Fazit: Das Land muss bunter werden
LGBTQIA+ hat mehr Aufmerksamkeit verdient, auch in ländlichen Regionen. Es darf im 21. Jahrhundert nicht mehr möglich sein, dass queere Menschen ihr Leben und ihre Liebe verstecken müssen, weil es ländlichen Traditionen widerspricht. Immer mehr Initiativen und Vereine werden gegründet und engagieren sich. Das ist nötig, denn die zunehmende Abwanderung queerer Menschen vom Land in urbane Regionen ist auch wirtschaftlich schadhaft für die Landregionen. Obwohl bereits viele Meilensteine geschafft sind, braucht es noch eine Menge Aufklärung, Gespräche und Initiativen, um in ganz Deutschland ein sicheres Leben für queere Menschen zu ermöglichen.